Ein Projekt aus dem Tätigkeitsfeld Dokumentieren mit einem Interview mit Louis Cotgrove
Jugendsprache – schwere Sprache
Wenn man an einer Gruppe Jugendlicher vorbeiläuft, passiert es wohl nicht selten, dass man sich über ihren Sprachgebrauch wundert. Vielleicht schüttelt man sogar wegen manch verwendetem Wort etwas den Kopf oder wundert sich, was es bedeuten soll. Selbst wenn man nur wenige Jahre von ihnen entfernt ist, kommt die heutige Jugendsprache einem manchmal fast schon wie eine richtige Fremdsprache vor.
Mit Jugendsprache beschäftigt sich auch Louis Cotgrove. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am IDS Mannheim promovierte mit der Dissertation über das „Nottinghamer Korpus deutscher YouTube‐Sprache“. Da ein Großteil der Jugendlichen YouTube regelmäßig nutzt und in den Kommentarspalten kommuniziert, liegt es nahe, die hier verwendete Jugendsprache zu vergleichen und zu untersuchen. Aber – inwiefern unterscheidet sich eigentlich die analoge, oder „Real Life“-Jugendsprache von der, die wir online finden? Diese (und ein paar andere Fragen) hat Louis Cotgrove für uns beantwortet!
Inwiefern unterscheidet sich die YouTube-Jugendsprache von der ‚analogen‘ Jugendsprache, also einer, die im konkreten Alltag außerhalb der Online-Welt verwendet wird?
Es gibt große Überlappungen auf jeden Fall, da die „Online-Welt“ eh ein wesentlicher Teil des Alltags ist. Jugendliche reden untereinander über Online-Geschehnisse und dementsprechend benutzen sie ähnliche Sprachkonstruktionen.
Korpora, die die Jugendsprache beispielsweile auf WhatsApp untersuchen, gab es bereits zuvor. Daten der Seite YouTube wurden nun zum ersten Mal gesammelt. Mit verschiedenen Tools wie SocialBlade oder YouTube Datatools konnten hier die beliebtesten Kanäle ermittelt und mithilfe eines speziell erstellten Programms die sprachlichen Besonderheiten festgestellt werden.
Von kappa, geil und Einhorn-Emojis🦄
Untersucht wurden Kommentare zwischen 2008 und 2018 – eine ganz schön lange Zeit für einen Jugendlichen. Mindestens zwei Generationen konnten hier durch die Pubertät gehen.
Herr Cotgrove, konnten Sie einen linguistischen Eindruck gewinnen, inwieweit sich die Jugendsprache von 2008 bis 2018 entwickelt hat und welche Unterschiede es gibt?
Innerhalb von 10 Jahren hat sich sehr viel geändert – morphologisch, stilistisch, lexikalisch, syntaktisch, diskursiv und orthografisch. Geil ist jetzt out, mega und nice sind in (in 2018, jetzt vielleicht wieder out). Das Lach-Wein-Emoji als Symbol von Heiterkeit ist nicht mehr cool, eher jetzt der Totenkopf. Krass komplexe Verstärkungskomposita (z.B. megaultraaffentittenhammergeil) werden nicht mehr so häufig verwendet.
Aber nicht nur zeitlich gibt es Unterschiede in der Jugendsprache, sondern es existieren auch die unterschiedlichsten Subkulturen.
Zeigen sich dieser auch online? Gibt es Unterschiede in der verwendeten Jugendsprache zwischen den Kanälen, d. h. lassen sich bestimmte „Bubbles“ und dort bevorzugte Jugendsprache oder Wendungen erkennen?
Ja, tatsächlich! In den Gaming-Kanälen werden Merkmale von Twitch oft benutzt, zum Beispiel „kappa“ als Ironiemarker. In den Kommentaren unter den Videos von BonnyTrash wird das Einhorn-Emoji als Insiderstatussymbol verwendet.
Jugendsprache – Segen oder Plage?
Jugendsprache ist demnach im stetigen Wandel und das Korpus ermöglicht die Arbeit und Analyse mit dieser Sprache. Doch wie könnte sie genau aussehen?
Herr Cotgrove, welche weiteren linguistischen Fragestellungen könnten an das Korpus herangetragen werden?
Das Korpus kann für eine Vielzahl von Forschungsfragen verwendet werden. Die Fülle an Metadaten ermöglicht diachrone Forschung, Forschung über Online-Communitys, Interaktion (sowohl zwischen Kommentatoren als auch die parasozialen Beziehungen zwischen YouTubern und Kommentatoren). Die Größe des Korpus ermöglicht auch eine Vielzahl von linguistischen Analysen: lexikalisch, orthografisch, syntaktisch und morphologisch.
Jugendsprache ist in vielen Augen nur eine „falsche“ Form des Deutschen. Hieraus ergibt sich eine letzte Frage: Gibt es aus Ihrer Sicht Alltagsprobleme, die mit der Dokumentation und Analyse von Jugendsprache gemindert oder gelöst werden können?
Ich hoffe, dass mein Projekt zeigt, dass Jugendsprache weitaus mehr als nur ein Lexikon ist und wie Jugendliche viele Aspekte der deutschen Sprache beeinflussen. Es ist auch wichtig, zu merken, dass Jugendsprache überhaupt nicht homogen ist, aber auch so komplex, intersektional und faszinierend wie die Alltagssprache, d.h. es gibt dia-, regio-, sozio-, ethnolektale Variation innerhalb der Jugendsprache.
Für Louis Cotgrove ist somit Jugendsprache nicht zum Kopfschütteln, sondern sogar eine wahre Bereicherung für unsere Sprache und unseren Alltag!
Die Autorin und der Autor:
Michelle Bytzek studiert Deutsch und Englisch auf Gymnasiallehramt und mag das Internet so sehr, dass ihr die Web-Jugendsprache nur allzu bekannt vorkommt.
Maximilian Schwegle studiert Deutsch, Geschichte und Sozialkunde und bereitet sich mit dem Jugendsprache-Blog schon mal aufs Lehramt vor.