Nottinghamer Korpus deutscher YouTube‐Sprache 

Ein Projekt aus dem Tätigkeitsfeld Dokumentieren mit einem Interview mit Louis Cotgrove

Jugendsprache – schwere Sprache

Wenn man an einer Gruppe Jugendlicher vorbeiläuft, passiert es wohl nicht selten, dass man sich über ihren Sprachgebrauch wundert. Vielleicht schüttelt man sogar wegen manch verwendetem Wort etwas den Kopf oder wundert sich, was es bedeuten soll. Selbst wenn man nur wenige Jahre von ihnen entfernt ist, kommt die heutige Jugendsprache einem manchmal fast schon wie eine richtige Fremdsprache vor. 

Mit Jugendsprache beschäftigt sich auch Louis Cotgrove. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am IDS Mannheim promovierte mit der Dissertation über das „Nottinghamer Korpus deutscher YouTube‐Sprache“. Da ein Großteil der Jugendlichen YouTube regelmäßig nutzt und in den Kommentarspalten kommuniziert, liegt es nahe, die hier verwendete Jugendsprache zu vergleichen und zu untersuchen. Aber – inwiefern unterscheidet sich eigentlich die analoge, oder „Real Life“-Jugendsprache von der, die wir online finden? Diese (und ein paar andere Fragen) hat Louis Cotgrove für uns beantwortet!

Inwiefern unterscheidet sich die YouTube-Jugendsprache von der ‚analogen‘ Jugendsprache, also einer, die im konkreten Alltag außerhalb der Online-Welt verwendet wird? 

Es gibt große Überlappungen auf jeden Fall, da die „Online-Welt“ eh ein wesentlicher Teil des Alltags ist. Jugendliche reden untereinander über Online-Geschehnisse und dementsprechend benutzen sie ähnliche Sprachkonstruktionen.

Korpora, die die Jugendsprache beispielsweile auf WhatsApp untersuchen, gab es bereits zuvor. Daten der Seite YouTube wurden nun zum ersten Mal gesammelt. Mit verschiedenen Tools wie SocialBlade oder YouTube Datatools konnten hier die beliebtesten Kanäle ermittelt und mithilfe eines speziell erstellten Programms die sprachlichen Besonderheiten festgestellt werden.

Von kappa, geil und Einhorn-Emojis🦄

Untersucht wurden Kommentare zwischen 2008 und 2018 – eine ganz schön lange Zeit für einen Jugendlichen. Mindestens zwei Generationen konnten hier durch die Pubertät gehen. 

Herr Cotgrove, konnten Sie einen linguistischen Eindruck gewinnen, inwieweit sich die Jugendsprache von 2008 bis 2018 entwickelt hat und welche Unterschiede es gibt? 

Innerhalb von 10 Jahren hat sich sehr viel geändert – morphologisch, stilistisch, lexikalisch, syntaktisch, diskursiv und orthografisch. Geil ist jetzt out, mega und nice sind in (in 2018, jetzt vielleicht wieder out). Das Lach-Wein-Emoji als Symbol von Heiterkeit ist nicht mehr cool, eher jetzt der Totenkopf. Krass komplexe Verstärkungskomposita (z.B. megaultraaffentittenhammergeil) werden nicht mehr so häufig verwendet. 

Aber nicht nur zeitlich gibt es Unterschiede in der Jugendsprache, sondern es existieren auch die unterschiedlichsten Subkulturen.

Zeigen sich dieser auch online? Gibt es Unterschiede in der verwendeten Jugendsprache zwischen den Kanälen, d. h. lassen sich bestimmte „Bubbles“ und dort bevorzugte Jugendsprache oder Wendungen erkennen? 

Ja, tatsächlich! In den Gaming-Kanälen werden Merkmale von Twitch oft benutzt, zum Beispiel „kappa“ als Ironiemarker. In den Kommentaren unter den Videos von BonnyTrash wird das Einhorn-Emoji als Insiderstatussymbol verwendet.

Jugendsprache – Segen oder Plage?

Jugendsprache ist demnach im stetigen Wandel und das Korpus ermöglicht die Arbeit und Analyse mit dieser Sprache. Doch wie könnte sie genau aussehen?

Herr Cotgrove, welche weiteren linguistischen Fragestellungen könnten an das Korpus herangetragen werden?

Das Korpus kann für eine Vielzahl von Forschungsfragen verwendet werden. Die Fülle an Metadaten ermöglicht diachrone Forschung, Forschung über Online-Communitys, Interaktion (sowohl zwischen Kommentatoren als auch die parasozialen Beziehungen zwischen YouTubern und Kommentatoren). Die Größe des Korpus ermöglicht auch eine Vielzahl von linguistischen Analysen: lexikalisch, orthografisch, syntaktisch und morphologisch. 

Jugendsprache ist in vielen Augen nur eine „falsche“ Form des Deutschen. Hieraus ergibt sich eine letzte Frage: Gibt es aus Ihrer Sicht Alltagsprobleme, die mit der Dokumentation und Analyse von Jugendsprache gemindert oder gelöst werden können? 

Ich hoffe, dass mein Projekt zeigt, dass Jugendsprache weitaus mehr als nur ein Lexikon ist und wie Jugendliche viele Aspekte der deutschen Sprache beeinflussen. Es ist auch wichtig, zu merken, dass Jugendsprache überhaupt nicht homogen ist, aber auch so komplex, intersektional und faszinierend wie die Alltagssprache, d.h. es gibt dia-, regio-, sozio-, ethnolektale Variation innerhalb der Jugendsprache.

Für Louis Cotgrove ist somit Jugendsprache nicht zum Kopfschütteln, sondern sogar eine wahre Bereicherung für unsere Sprache und unseren Alltag!

Die Autorin und der Autor:

Michelle Bytzek studiert Deutsch und Englisch auf Gymnasiallehramt und mag das Internet so sehr, dass ihr die Web-Jugendsprache nur allzu bekannt vorkommt.

Maximilian Schwegle studiert Deutsch, Geschichte und Sozialkunde und bereitet sich mit dem Jugendsprache-Blog schon mal aufs Lehramt vor.

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Die Mutter aller Bereiche?

Angewandte Linguistik und das Tätigkeitsfeld Dokumentieren

Woher kommen die Informationen?

Haben Sie alle bisherigen Blogbeiträge der #galwue22 mitverfolgt? Prima, dann kennen Sie nun FAST alle Themenbereiche der Angewandten Linguistik! Ein Tätigkeitsfeld aber fehlt noch. Dabei ist dieses besonders wichtig, denn es stellt die Grundlage so ziemlich aller anderen Bereiche dar. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass zu Beginn jedes Projekts, das vorgestellt wurde, eine Vorarbeit steht, beispielsweise in Form von Interviews (wie im Projekt SPRINT) oder Befragungen, Filmen und Auswertung (wie für das DGS-Korpus). Hierbei befinden wir uns im Tätigkeitsfeld Dokumentieren, durch welches die Basis für weitere Forschungen, Entwicklungen und Projekte geschaffen wird.

Wie geht man vor?

Die Dokumentation in der Sprachwissenschaft kann beispielsweise in diesen Schritten ablaufen: Zunächst werden die Wörter identifiziert. Dabei wird beispielsweise nach neuen Wörtern, neuen Wortverbindungen, bekannten Wörtern oder häufigen Wortverbindungen unterschieden. Danach werden die identifizierten Wörter in einer Datenbank gesammelt, verschlagwortet und mit Quellennachweisen versehen. Als nächster Schritt folgt die lexikographische Analyse, bei der Wörter nach Kategorien geordnet werden. Daraufhin wird eine lexikographische Dokumentation der Befunde vorgenommen. Diese werden hierbei insofern aufgearbeitet, dass allgemeinverständliche, wörterbuchartige Texte entstehen, die der Öffentlichkeit, beispielsweise online, zur Verfügung stehen.

Und in welchen Berufsfeldern wird dokumentiert?

Die Dokumentation ist in allen sprachwissenschaftlichen Berufsfeldern von Bedeutung, da sie die Grundlage für weitergehende Forschungen bildet. Dementsprechend findet bei allen Projekten zu Beginn und währenddessen die Dokumentation der Daten statt. Ein linguistischer Teilbereich, bei dem die Dokumentation einen besonders hohen Stellenwert einnimmt, ist die Korpuslinguistik. Hierbei werden durch die untersuchende Analyse von zahlreichen Daten, die zuvor in Korpora, also Sammlungen sprachlicher Gegenstände wie Texten, erfasst wurden, verschiedene Eigenschaften, Gesetzmäßigkeiten, Strukturen und Funktionen von Sprache offengelegt. Dadurch können neue Erkenntnisse über Sprache generell oder über bestimmte Sprachen erlangt beziehungsweise bestehende Hypothesen überprüft werden. Vor allem das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) beschäftigt sich mit diesem Themenbereich. 

Dokumentieren und Alltag – Wo ist die Verbindung?

Egal wo wir sind, was wir tun oder mit wem – wir kommunizieren täglich. Kommunikation, und somit auch die Sprache, prägt unseren Alltag, da sie unser Zusammenleben bestimmt und in jedem Bereich unseres Lebens essenziell ist. Doch unsere Ausdrucksweise verändert und erweitert sich durchgehend, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen. Hier kommen Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler ins Spiel. Sie dokumentieren die verschiedenen Wörter und Ausdrucksweisen und bereiten sie auf, sodass sie allen zu Verfügung stehen. Dies kann beispielsweise Lernenden helfen, die deutsche Sprache besser zu verstehen. Auch können die demografischen Grenzen innerhalb der Gesellschaft insofern überwunden werden, dass Aspekte wie Sprachwandel sichtbar gemacht werden. 

Ein Beispiel hierfür ist das seit 2008 jährlich gewählte Jugendwort des Jahres, für welches seit zwei Jahren jeder eine Stimme abgeben kann. Ursprünglich stellte dies eine Werbung für das Lexikon 100 Prozent Jugendsprache dar. Der Sieger des Jugendwortes 2021 beispielsweise ist cringe, welches den Vorgang des Fremdschämens beschreibt. Mehr aus dem Bereich Jugendsprache gibt es übrigens im Blogbeitrag nächste Woche!

Die Grundlage für Angewandte Linguistik

Das Dokumentieren zu Beginn eines sprachwissenschaftlichen Projekts ist meist unumgänglich. Ergebnisse des Dokumentiervorgangs sind dann zum Beispiel Sprachkorpora, Wörterbücher, Datenbanken oder Terminologielisten. Da solche Sammlungen Ausgangspunkte für das weitere Vorgehen in jeglichen Berufsfeldern sind, ist Genauigkeit beim Dokumentieren besonders wichtig. So stellt das Tätigkeitsfeld Dokumentieren die Grundlage für viele weitere Forschungen dar – natürlich auch für unser aller Alltag!

Die Autorinnen:

Lisa Köhler studiert Germanistik und Französisch auf Bachelor und beschäftigt sich somit gleich in zwei Sprachen mit Linguistik.

Katharina Wolf studiert Germanistik und Ethnologie auf Bachelor und möchte damit den Menschen die Verbindung von Sprache und Alltag näherbringen.

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Im Kampf für kommunikative Gleichberechtigung

Ein Projekt aus dem Tätigkeitsfeld Professionalisieren

Die Probleme mit der Sprache

Haben Sie sich schon einmal schwergetan, einen Text richtig zu verstehen? Vielleicht lag dies daran, dass der Text in einer fremden Sprache verfasst wurde, dass Sie noch ein Kind waren oder, dass es sich um einen Text handelte, der mit Ihnen unbekannten Fachwörtern regelrecht um sich warf. Dies sind Ausnahmen, die Ihr generelles Leseerleben wahrscheinlich kaum beeinflusst haben – für viele Menschen sind schwer verständliche Texte jedoch Alltag. Es kann hier bei solch „einfachen“ Dingen wie Nachrichten zu Problemen kommen, aber besonders Formulare oder Gesetzestexte sind unter Umständen sehr kompliziert geschrieben und für Fachfremde kaum nachvollziehbar. 

Durch die Novelle des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes (BGG) im Jahr 2016 wurde der Fokus jedoch vermehrt darauf gerichtet, leicht verständliche Texte in Leichter und einfacher Sprache zu erforschen und zur Verfügung zu stellen. 

Wer braucht das denn schon – “Leichte Sprache”?

Die Reaktionen auf Leichte Sprache sind leider häufig negativ bis abwertend, was sich auf die Leserinnen und Leser auswirkt. Dies führt dazu, dass diese stigmatisiert werden. Doch von Leichter Sprache profitieren sehr viele Menschen! Sie kann hilfreich sein im Umgang mit kleinen Kindern, mit Menschen, die Deutsch gerade erst lernen, oder fachfremde Personen. Außerdem Menschen mit Leseeinschränkungen oder Sprachverarbeitungsproblemen, wofür es vielfältige Gründe geben kann, wie beispielsweise Demenz, geistige Behinderungen, Lernschwierigkeiten, prälinguale Hörschädigungen oder funktionaler Analphabetismus.

Medizinische Texte, beispielsweise, die viele Fachbegriffe beinhalten, sind für Laien schwer verständlich. Wenn Sie jedoch auf das Verstehen des Textes angewiesen wären, wäre Leichte Sprache für Sie eine riesige Hilfe. Das heißt: Jeder profitiert von der Forschung im Bereich der Leichten und einfachen Sprache. 

Was Leichte Sprache ausmacht

Wichtig für Leichte Sprache ist das Verzichten auf Fremdwörter und Fachbegriffe. Insgesamt gibt es jedoch ungefähr 120 Regeln, die durch verschiedene Regelwerke, wie das des Netzwerks Leichter Sprache, erarbeitet wurden. Dazu gehört beispielsweise die Vermeidung von Nebensätzen, Passiv oder Negation. Kurze Sätze, mit einem Satz pro Zeile, Mediopunkte oder Bindestriche bei komplexeren Wörtern (z.B. Fach·sprache), direkte Ansprache und Zwischenüberschriften sind erwünscht. 

Außerdem hat Leichte Sprache drei Funktionen: 

1) eine Partizipationsfunktion – damit alle am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.

2) eine Lernfunktion – da durch Leichte Sprache Lernimpulse gegeben werden und somit das Ziel des Standarddeutschen leichter erreicht werden kann (hierfür besonders wichtig: Leichte Sprache muss korrektes Deutsch verwenden).

3) eine Brückenfunktion – da sie ein ergänzendes Angebot darstellt, sollte ein einfaches Hin- und Herwechseln zwischen dem originalen Text und dem in Leichter Sprache möglich sein.  

LeiKo und die zukünftige Forschung

Durch die UN-Behindertenrechtskonvention von 2009 kam es zu einer Forderung nach Barrierefreiheit, die sich auch auf Informationen und Medien bezieht. Dadurch wurden einige Regelwerke für Leichte Sprache entwickelt, wobei jedoch kaum erforscht wurde, ob hierdurch wirklich die Verständlichkeit verbessert wird und welche Auswirkungen sie auf übergeordnete Sprachebenen hat. Diesem Problem haben sich Prof. Dr. Heike Zinsmeister und ihre wissenschaftliche Mitarbeiterin Sarah Jablotschkin von der Universität Hamburg gestellt und ein Vergleichskorpus mit Nachrichtentexten in Leichter und einfacher Sprache entwickelt (= LeiKo). Die vier Subkorpora beinhalten bisher 215 Nachrichten- und Zeitungstexte (+ Metadaten), wobei die Texte tokenisiert, lemmatisiert, wortarten- und dependenzannotiert und mit Koreferenzannotationen angereichert wurden. Dabei wurde ein Pilotkorpus von 40 Texten manuell korrigiert. 

Doch wofür soll dieses Korpus gut sein? LeiKo unterstützt die zukünftige Forschung, indem die Forscherinnen und Forscher auf das Korpus kostenfrei zugreifen können. Denn nur, wenn Leichte Sprache besser erforscht wird, kann sie sich auch verbessern und den Alltag vieler Menschen erleichtern. Mit der zunehmenden Forschung kann außerdem der Stigmatisierung der Nutzung Leichter Texte entgegengewirkt werden – für eine Zukunft, in der kommunikative Gleichberechtigung der Standard und kommunikatives Unverständnis kein Ausschlusskriterium ist

Wurde Ihr Interesse geweckt? Wenn ja, schauen Sie doch gerne in das auf Zenodo frei verfügbares Korpus hinein und machen Sie sich Ihr eigenes Bild von dem Projekt!

Die Autorin: 

Jacqueline Krumm studiert Gymnasiallehramt mit den Fächern Englisch und Deutsch. Ihre Liebe zum Lesen hat sie schon früh in ihrer Kindheit entdeckt, weshalb sie sich wünscht, dass in der Zukunft jede(r) Zugang zu guten, verständlichen Texten hat.

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Eine Brücke zwischen Beruf und Alltag

Angewandte Linguistik und das Tätigkeitsfeld Professionalisieren

Sprache prägt unseren Alltag wie nichts anderes, doch dabei ist die gegenseitige Verständigung nicht immer einfach. Vor allem, wenn es um die Kommunikation zwischen Expertinnen und Experten und Fachfremden geht. Ein Gespräch im juristischen, behördlichen, medizinischen oder in anderen fachsprachlichen Kontexten kann uns vor große Herausforderungen stellen. 

Der Einfluss auf unseren Alltag

Es sind alltägliche Probleme, die viele Bereiche unseres Lebens beeinflussen. Nehmen wir beispielsweise das Diagnosegespräch zwischen Ärztinnen und Ärzten und den behandelten Personen. Ein solches Gespräch kann viele für die Patientin oder den Patienten komplizierte Fachwörter und Formulierungen enthalten, denen Laien eventuell nicht folgen können. Das kann zu großem Unbehagen der einzelnen Gesprächsteilnehmenden, aber sogar zu Missverständnissen über wichtige gesundheitsrelevante Gesprächsinhalte führen.

Doch zum Glück sind auch in diesen professionellen Kontexten wieder Angewandte Linguistinnen und Linguisten am Werk! Sie ermöglichen eine bessere Kommunikation in beruflichen und fachlichen Kontexten und bilden somit die Brücke zwischen Expertinnen und Experten und Fachunkundigen. Außerdem optimieren sie Kommunikationsprozesse und Handlungsabläufe in diesen Bereichen, beispielsweise in Unternehmen. 

Mit sprachlicher Professionalisierung beschäftigen sich unter anderem die Fachkommunikation, die Gesprächsforschung, interkulturelle Kommunikation, Medienkommunikation, aber natürlich auch Textlinguistik, Übersetzungs- und Dolmetschwissenschaften und viele Fachbereiche mehr.

Eine Brücke durch Linguistik

Das Ziel der linguistischen Professionalisierung erreichen Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler unter anderem durch Coaching. Ein wissenschaftlicher Anbieter ist die Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (zhaw), die auf ihrer Seite ein breites Professionalisierungsangebot aufzeigt. Dabei richtet sie sich vor allem an Unternehmen und Organisationen, aber auch an Privatpersonen.

Dort gibt es auch eine große Abteilung für die Angewandte Linguistik, welche den Fokus auf die Professionalisierung von Sprache und Kommunikation richtet. Neben der Unterstützung im Bereich Fachtexte, spielen auch Terminologie und Schreib-Coachings eine Rolle. Dabei wird an der zhaw die Meinung vertreten, dass die für einen Fachtext schwierigen Termini nur ein Teil des Problems darstellen. Denn auch komplizierte Satzstrukturen können beispielsweise eine große Hürde für das Verständnis von Fachtexten darstellen. Durch die Professionalisierungsarbeit sollen Inhalte verständlicher und dennoch korrekt dargestellt und so die Kommunikation zwischen Expertinnen und Experten und Fachfremden verbessert werden. 

Auf der Homepage der zhaw finden Sie auch einen Podcast, in einer Folge geht es zum Beispiel um professionelles Schreiben, hören Sie doch einmal rein!

Sprachliche Professionalisierung ist wichtig für berufliche und fachliche Kontexte unseres Alltags. Die Angewandte Linguistik baut eine Brücke, die sprachliche Missverständnisse vermeiden und so die Kommunikationsprozesse vereinfachen und optimieren kann.

Die Autorinnen:

Yukari Hayashida studiert Germanistik als Fremdsprachenphilologie im vierten Semester. Sie interessiert sich für die deutsche Sprache und die Kultur der deutschsprachigen Länder in allen Ausprägungen.

Leonie Kampmann studiert Germanistik und Vergleichende Sprachwissenschaft auf Bachelor. Die Angewandte Linguistik findet sie spannend, weil Sprache unser zentrales Kommunikationsmittel ist. Sie glaubt fest daran, dass ein besseres Verständnis sprachlicher Strukturen letztlich auch die Kommunikation fördern und Missverständnisse vermeiden kann.

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Turn-Taking und Verständnissicherung beim Telefondolmetschen

Ein Projekt aus dem Tätigkeitsfeld Beraten

Stellen Sie sich vor, Sie kommen in ein fremdes Land und niemand versteht Sie. Sie müssen dennoch Behördengänge erledigen oder Diagnosegespräche mit Ärztinnen und Ärzten führen. Das ist Alltag für viele Menschen mit Migrationshintergrund, die Unterstützung für diese Tätigkeiten brauchen. Solche Unterstützung kommt unter anderem durch Dolmetscherinnen und Dolmetscher, die als Übersetzerinnen und Übersetzer in Gesprächen fungieren.

Dabei kommt es häufig vor, dass nicht genug Dolmetschende für eine bestimmte Sprache, beispielsweise Arabisch, vor Ort sein können. Zum Glück wird die Technik jedoch immer fortschrittlicher und vielseitiger und das hat auch Einfluss die Formen des Dolmetschens. Neben Video-Gesprächen ist seit vielen Jahren auch das Telefon ein beliebtes Mittel, um über weite Entfernungen das Dolmetschen zu ermöglichen.

Das hat es mit Telefondolmetschen auf sich

Wie der Name bereits sagt, ist beim Telefondolmetschen die Dolmetscherin oder der Dolmetscher nicht persönlich vor Ort, um die Klientin oder den Klienten zu unterstützen, sondern als dritte Partei per Telefon zugeschaltet. Dieses Konzept ist keinesfalls neu und wird bereits seit den 70ern, zunächst in Australien, praktiziert. In den darauffolgenden Jahrzehnten kam das Telefondolmetschen über die USA, wo es zunächst nur für die Polizei angeboten wurde, auch nach Europa.

Beim Telefondolmetschen kann man in drei verschiedene Situationen unterteilen: 

1. Beide Gesprächsparteien und die Dolmetscherin oder der Dolmetscher befinden sich an unterschiedlichen Orten. 

2. Die beiden Gesprächsparteien befinden sich an einem Ort und unterhalten sich über den Lautsprecher des Telefons, sodass die Dolmetscherin oder der Dolmetscher mithören kann.

3. Die Situation ist ähnlich wie bei der zweiten Form, nur dass das Gespräch nicht über einen Lautsprecher stattfindet, sondern das Telefon zwischen den Gesprächsteilnehmenden hin und her gereicht wird.

Telefondolmetschen und seine Tücken

So gut und praktisch das Konzept Telefondolmetschen klingt, vor allem für Regionen, in denen Dolmetscherinnen und Dolmetscher fehlen, es birgt auch einige Probleme. Zum einen wären da natürlich die technischen Schwierigkeiten, die bei einer Telefonverbindung auftreten können. Kommt es zu kurzen Unterbrechungen, kann das Verständnis der einzelnen Parteien nicht mehr gesichert werden.

Ein weiteres Problem ist das Fehlen nonverbaler Kommunikationsmittel. In einem face-to-face-Gespräch spielen für die Verständnissicherung auch Gestik und Mimik eine Rolle, in einem Telefongespräch entfällt das komplett. Das ist vor allem ein Hindernis für das „Turn-Taking“, also den Wechsel der Sprecherin oder des Sprechers, der durch Mimik und Gestik gut unterstützt werden kann. Die Dolmetschenden müssen dann auf paraverbale Signale achten, zum Beispiel auf den Tonfall, das Tempo oder den Akzent. Sonst bleibt nur die Möglichkeit, das Gespräch direkt verbal zu unterbrechen und eventuell den weiteren Verlauf des Gesprächs zu stören. Das kann zu einem Gefühl des Unbehagens oder Kontrollverlustes führen und die Gesprächssituation negativ beeinflussen.

Ein weiterer Nachteil des Telefondolmetschens ist die Zeitdauer. Ein solches Gespräch ist aufgrund von Konzentration und Ermüdung nicht für eine längere Zeit ausgelegt und somit ist es problematisch, komplexe Sachverhalte ausreichend darzustellen und zu besprechen.

Da die Lösung durch Telefondolmetschen jedoch auch viele, vor allem logistische, Schwierigkeiten vermeidet, sollten diese Probleme angepackt werden! Und das hat sich ein internationales Forschungsteam beim Projekt „Turn-Taking und Verständnissicherung beim Telefondolmetschen Arabisch-Deutsch“ auf die Fahne geschrieben. Denn ein erfolgreiches Telefondolmetschen hängt von den Kompetenzen der Dolmetschenden und den kommunikativen Fähigkeiten der Fachkräfte ab, wobei hier die Angewandte Linguistik unterstützen kann.

Telefondolmetschen für bessere Migration 

Gerade in der Kommunikation mit Migrantinnen und Migranten sowie Geflüchteten ist Telefondolmetschen besonders relevant. Der breite Bedarf in Unterkünften sowie Betreuungs- bzw. Beratungskontexten kann durch Dolmetscherinnen und Dolmetscher vor Ort nicht gedeckt werden. So bietet das Telefondolmetschen die Möglichkeit, mehr Menschen ortsunabhängig in ihrem Alltag zu unterstützen.

Das internationale Projekt mit Beteiligten in Deutschland, den Vereinigten Staaten und Jordanien untersucht deshalb sowohl Verfahren des Sprecherwechsels, also „Turn-Taking“, und die Verständnissicherung innerhalb von Beratungsgesprächen in sozialen Handlungskontexten per Telefon als auch die Methodik mehrsprachiger Transkription und Annotation für die Gesprächsanalyse. Es soll geklärt werden, wie kommunikative Probleme durch das Fehlen nonverbaler Mittel vermieden werden können und welche sprachlich-kommunikativen Anforderungen an das Dolmetschen von Gesprächen zu stellen sind.

Hierfür werden innerhalb des Projekts computergestützte Gesprächstranskripte angefertigt, die die Schwierigkeiten der mehrsprachigen und interkulturellen Kommunikation herausstellen sollen. Auf dieser Grundlage sollen kommunikative Verfahren modelliert werden, die die Gespräche verständlicher gestalten und gliedern können. Ein besonderes Augenmerk liegt hier auf der institutionellen Kommunikation. In wissenschaftlichen Workshops wollen die beteiligten Forscherinnen und Forscher Fragen der Gesprächsinteraktion und der Darstellung in der Transkription klären, und in Verbindung mit Berufsverbänden des Dolmetschwesens sollen mögliche Hilfestellungen für die Praxis erörtert werden.

Mehr Infos gibt es auch auf der Projekt-Homepage!

Insgesamt werden auf diese Weise also Methoden erforscht und Muster festgehalten, die das spannende Feld des Dolmetschens per Telefon verbessern, die Dolmetscherinnen und Dolmetscher professionalisieren und – natürlich – den Alltag für geflüchtete Personen sowie Migrantinnen und Migranten erleichtern!

Die Autorinnen: 

Yijia Chen studiert Germanistik als Fremdsprachenphilologie und denkt, dass man mithilfe fremdsprachlicher Kenntnisse eine fremde Kultur gut und tief verstehen kann. 

Yuanying Jin studiert Germanistik als Fremdsprachenphilologie und interessiert sich für alle Formen interkultureller Kommunikation.

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Guter Rat ist teuer. Aber bitte nicht sparen!

Angewandte Linguistik und das Tätigkeitsfeld Beraten

Viele Menschen sind auf der Suche nach Beratung – auch zu Sprache und sprachbezogenen Themen. Privatpersonen, Unternehmen, politische Parteien und viele weitere Institutionen suchen daher bewusst Sprachberatungsstellen auf.

Sprach- und Schreibberatung im Alltag

Die dort stattfindende Sprach- und Schreibberatung hat viele Facetten und Anwendungsbereiche. Wie kann die Identität des neuen Start-Ups sprachlich transportiert werden? Welche Vornamen sind aktuell beliebt oder haben eine besondere Bedeutung? Sollte man E-Mails besser mit „Liebe Mitarbeiter“ oder eher mit „Liebe MitarbeiterInnen“ beginnen? Wie kann ein gelungener Wahl- oder Werbeslogan formuliert werden? Und nicht zuletzt ergeben sich auch viele allgemeine Fragen zur Rechtschreibung, Grammatik oder zur korrekten Übersetzung.

Egal, ob es um private oder berufliche Fragen und Probleme geht, Beratungssituationen entstehen jeden Tag zu jeder Zeit überall. Angewandte Linguistinnen und Linguisten helfen bei diesen Schwierigkeiten!

Wann findet Beratung statt?

Bei der Beratung kommen Ratsuchende auf Expertinnen oder Experten zu und lassen sich von diesen bei der Problemlösung helfen. Geht es um Schwierigkeiten im Bereich Sprache und Kommunikation, haben Angewandte Linguistinnen und Linguisten die notwendige Expertise. Sie kennen sich beispielsweise mit Syntax, Semantik, Phonologie, Morphologie, Übersetzung usw. aus und können ihr Wissen auf das vorliegende Problem anwenden.

Die GfdS – Gesellschaft für deutsche Sprache e.V.

Angewandte Linguistinnen und Linguisten sind in vielen verschiedenen Formen von Beratungsstellen tätig: Es gibt kostenlose Beratungen in Universitäten, aber auch kostenpflichtige Angebote zum Beispiel bei der Gesellschaft für deutsche Sprache e.V. Die GfdS berät sogar Abgeordnete des Bundestags!

Sprachberatungsstellen bieten ganz verschiedene Services an: Wenn es generelle Fragen oder Probleme zur Nutzung der deutschen Sprache oder in sprachlichen Zweifelsfällen gibt, können von Linguistinnen und Linguisten Auskünfte erteilt und Gutachten erstellt werden. Aber auch ganze Texte werden unter anderem auf Stil, Ausdruck und Zeichensetzung geprüft und korrigiert, egal ob es sich um eine Bewerbung oder um ganze Geschäftsberichte eines Großunternehmens handelt. Sollte es Themen geben, deren Beratung umfangreicher ausfällt, bieten die GfdS sogar Seminare und Workshops an, um beispielsweise über geschlechtergerechte, ‚leichte‘ oder bürgernahe Sprache zu beraten. Die GfdS hat aber noch viele weitere Angebote im Repertoire, die es sich zu anschauen lohnt (wenn sie sich gerne die Liste zu den ‚Wörtern des Jahres‘ anschauen wollen, sind sie auf der Seite auch gut beraten!). Neben der GfdS gibt es natürlich noch viele weitere Beratungsstellen, beispielsweise auch von Duden.

Was macht einen guten Sprachberater aus?

Angewandte Linguistinnen und Linguisten zeichnen sich dann als gute Ratgeberinnen und Ratgeber aus, wenn sie beachten, dass zwischen ratsuchenden und ratgebenden Person eine Divergenz in der Beratungssituation besteht, und wenn sie es schaffen, diese möglichst gering zu gestalten. Unterschiedliches Wissen, die Distanz zum vorliegenden Problem, die Perspektive auf den Sachverhalt sowie bereitstehende Handlungs- und Lösungsmöglichkeiten machen den Kontrast zwischen beiden Seiten aus. Die ratsuchende Person benötigt eine Lösung für ihr Alltagsproblem, woraufhin in einem direkten Gespräch, per Gutachten usw. beraten und eine Problemlösung gefunden werden soll.

Die Linguistinnen und Linguisten beschäftigen sich mit den Problemfällen und bedienen sich, je nach Art des Problems, an ihren jeweiligen Problemlösekompetenzen und -mitteln. Dazu zählen sprachwissenschaftliches Wissen auf allen linguistischen Ebenen, psychologische Grundlagen, wie sensibler Umgang, und Gesprächsführung. Außerdem sprach- und schreibdidaktische Kenntnisse und Methoden sowie rhetorische und organisatorische Fertigkeiten. Das Problem sollte gemeinsam behandelt und dementsprechende Lösungen angeboten und umgesetzt werden.

Beratung in allen Sektionen

Sprach- und Schreibberatung durch Linguistinnen und Linguisten kann vielseitig angewendet werden, egal, ob es Stilistik, Übersetzungswissenschaft, Medienkommunikation, Gesprächsforschung, Soziolinguistik oder interkulturelle Kommunikation betrifft. Beratung ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit der Angewandten Linguistik und es gilt hier umso mehr: Wo es an Beratung fehlt, da scheitern die Pläne – aber dank Angewandter Linguistinnen und Linguisten sind Sie gut beraten!

Die Autorin und der Autor:

Xinyi Gong studiert im vierten Semester Germanistik als Fremdsprachenphilologie. Sie findet es interessant, sich als Chinesin mit der deutschen Sprachwissenschaft auseinanderzusetzen und neue Perspektiven zu betrachten.

Timo Lüsebrink studiert im zehnten Semester Gymnasiallehramt mit den Fächern Deutsch, Geschichte und Politik. Er hält es aufgrund von Erfahrungen aus seinen anderen Fächern für notwendig, dass heutige Politikerinnen und Politiker gut beraten sind, auch linguistisch.

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Führerschein? Fahrzeugpapiere? Deutsch?

Ein Projekt aus dem Tätigkeitsfeld Aufklären

Transformation und Translation – Das Projekt

Stellen Sie sich vor, sie brauchen Hilfe, aber niemand kann sie verstehen. Was wie ein Horrorszenario wirkt, gehört für viele Menschen in Deutschland zum Alltag. Sie fühlen sich ausgegrenzt, weil sie „anders“ sprechen, vielleicht auch „anders“ aussehen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Bundesrepublik zu einer zunehmend heterogenen Gesellschaft entwickelt. Und das prägt natürlich auch die Sprache(n) in Deutschland!

Sprachbarrieren und die damit einhergehende Notwendigkeit für Translationen gehören heute zum Alltag – sie sind aber auch eine tägliche Herausforderung. Zum Beispiel für die Polizei!

Jan Beek und sein interdisziplinäres Team, zu dem auch ein Polizist gehört, von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz beschäftigen sich in ihrem Projekt ‚Polizei-Translationen – Mehrsprachigkeit und die Konstruktion kultureller Differenz im polizeilichen Alltag‘ deshalb genau mit diesen Herausforderungen. Wann nehmen die Beamtinnen und Beamten einen Menschen als kulturell „fremd“ wahr? Wie beeinflusst diese Wahrnehmung den Umgang mit diesem Menschen? Und, aus linguistischer Perspektive zentral: Wie sieht die Kommunikation zwischen den Parteien aus?

Am Projekt ist auch Prof. Dr. Bernd Meyer von der Universität Mainz beteiligt. Der Angewandten Linguistik ist er als Leiter der Sektion Interkulturelle Kommunikation und mehrsprachige Diskurse der Gesellschaft für Angewandte Linguistik e.V. sehr zugetan. Mit uns hat er über seine Beteiligung am Projekt Polizei-Translationen gesprochen.

Das Krisenexperiment

„Das Projekt Polizei-Translationen ist am Institut für Ethnologie angesiedelt und überwiegend sozialwissenschaftlich orientiert“, berichtet er. Ursprünglich sei eine linguistische Beteiligung in Form von Gesprächsanalysen der via Body-Cam aufgezeichneten Gespräche geplant gewesen. Aus rechtlichen Gründen war das leider nicht möglich. Die Mainzer mussten umplanen: 

„Daraufhin wurden von uns Aufzeichnungen von Ausbildungsszenarien angefertigt, in denen Polizisten das Verhalten in Standard-Einsätzen üben (Verkehrskontrolle, Ruhestörung). In diese Szenarien haben wir Klienten ohne Deutschkenntnisse eingebaut, das war neu für die Polizisten. Normalerweise üben sie vor allem die Eigensicherung. Nun ging es auf einmal nicht um Gewalt, sondern um Kommunikation. In der Sozialwissenschaft nennt man das auch ein Krisenexperiment: Die Teilnehmer werden mit unerwarteten Problemen konfrontiert, die sie mit herkömmlichen Mitteln nicht lösen können. Die Frage war: Was machen sie, wenn der Fahrer kein Deutsch spricht, man aber trotzdem seinen Führerschein sehen muss?

Die Interaktionen zeichneten sie mit Kameras auf. Anhand der Aufnahmen wurden Beobachtungen festgehalten und Ablaufbeschreibungen erstellt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden zusätzlich nachträglich befragt. So konnten typische Ablaufmuster festgehalten werden.

„Diese Typen wurden als inklusive und exkludierende Mehrsprachigkeit bezeichnet. Inklusiv: Man versucht trotz Sprachbarriere zu kommunizieren. Exklusiv: Man macht weiter und schert sich nicht um die Kommunikation. Die Klienten bleiben dann außen vor, werden z. B. körperlich durchsucht, ohne zu wissen, warum. Ganz schlecht!“

Zum Glück ist dieser Fall nur selten eingetreten: Nur 3 von 33 Teams wurden von Bernd Meyer als exkludierend eingestuft.

„Das Bemühen um Verständigung“ soll im Vordergrund stehen

Die Reaktion der meisten angehenden Beamtinnen und Beamten zeigte also, dass der Wille zur Kommunikation trotz Sprachbarriere durchaus existent ist. Doch guter Wille allein reicht nicht aus, um den polizeilichen Umgang mit Klientinnen und Klienten ohne Deutschkenntnisse nachhaltig zu verbessern. Dafür braucht es konkrete, systemische Lösungsansätze, die mitunter von der Angewandten Linguistik unterstützt werden können.

Prof. Dr. Meyer zählt dabei einige Ideen auf, beginnend mit einem Besuch bei Google Translate. Eine weitere Möglichkeit wäre außerdem, die einsatzbezogenen Sprachkompetenzen zu fördern, „also den Sprachunterricht berufsbezogen organisieren, Sprachunterricht an kommunikativen Kompetenzen ausrichten, mehrsprachige Kollegen einbeziehen usw.“ Damit sollen sowohl neue Kompetenzen aufgebaut als auch bereits bestehende Kompetenzen ausgebaut werden. Die Quintessenz dieser Bemühungen besteht aber vor allem darin, „das Bemühen um Verständigung“ zum höchsten kommunikativen Gut zu machen.

Eine bessere Polizei?

Das Ziel des Projekts ist es, die Polizistinnen und Polizisten für mögliche sprachliche Probleme in Einsätzen zu sensibilisieren, sie aber auch über Lösungsansätze zu informieren. Dazu reicht es nicht, im Nachhinein Fehleranalysen zu betreiben oder sprachliche Missverständnisse zu bedauern. Nein, es sollten auf der Basis wissenschaftlicher Forschung konstruktive Lösungen für alltägliche Probleme entwickelt werden, die in der Realität der transformierten Gesellschaft umsetzbar sind. Denn wer Hilfe braucht, sollte auch verstanden werden – und Angewandte Linguistinnen und Linguisten können helfen, diese Verständigung zu ermöglichen.

Die Autorin und der Autor:

Nina Busch studiert im sechsten Bachelorsemester Germanistik und Political and Social Studies und sieht ein großes Potential in der interdisziplinären Zusammenarbeit der Sozialwissenschaften und der Sprachwissenschaft.

Tim Neumann studiert im achten Fachsemester Deutsch und Englisch auf Gymnasiallehramt. Den größten Spaß im Studium hat er mit mittelhochdeutschen Texten, im Beruf ist er aber dazu bereit, seine Schülerinnen und Schüler damit zu verschonen.

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Wenn Hass die Sprache prägt

Ein Projekt aus dem Tätigkeitsfeld Aufklären

Sprache kann verletzen. Sprache kann diffamieren. Sprache kann diskriminieren.

Leider erleben wir eine solche Verwendung von Sprache in unserem Alltag häufig – insbesondere in den sozialen Medien. Besonders zu kontroversen Themen sind Kommentarspalten unter Beiträgen jeglicher Art, sei es auf Instagram, Twitter oder Facebook, gefüllt mit solcher Hassrede. Einer Studie der Landesanstalt für Medien NRW zufolge haben rund drei Viertel der Befragten solche Hasskommentare im Internet gesehen, zehn Prozent geben sogar an, sehr häufig auf solche Kommentare gestoßen zu sein.

Häufig wird herabwürdigende oder verletzende Sprachverwendung unter dem Begriff Hate Speech gefasst. Dabei handelt es sich um sprachliche Äußerungen, in denen bestimmte Personen oder Personengruppen gezielt beleidigt werden, sei es wegen ihrer Herkunft, Religion, Sexualität oder anderen Zuschreibungen. Häufig überschreiten solche Äußerungen die Grenzen der freien Meinungsäußerung und fallen in Deutschland z. B. unter die Straftatbestände Volksverhetzung, Verleumdung, Beleidigung oder üble Nachrede gemäß § 130 und 185 ff. StGB. Hate Speech ist aber ein weltweites Problem – und zwar eines, über das noch viel zu wenig bekannt ist.

Das Projekt XPEROHS

Hate Speech ist ein sprachliches Phänomen – und da sind Linguistinnen und Linguisten zur Stelle! Sie befassen sich damit, um die linguistischen Wirkmechanismen von Hate Speech zu ermitteln und auf dieser Grundlage für das Problem zu sensibilisieren sowie über die Wirkung solcher Hasskommentare aufzuklären. Denn je mehr Menschen Hassrede als solche erkennen, desto eher kann dagegen vorgegangen werden und desto besser können Opfer geschützt werden.

Das Projekt “Towards Balance and Boundaries in Public Discourse: Expressing and Perceiving Online Hate Speech (XPEROHS)” stellte über drei Jahre ein Korpus zu Hate Speech aus deutschsprachigem und dänischem Facebook und Twitter zusammen, um die Funktion von Hasskommentaren zu identifizieren und analysieren. Hierbei soll zudem das generelle Ausmaß von Hate Speech auf Facebook und Twitter ermittelt sowie Wortverwendung und sprachliche Muster in den unterschiedlichen Sprachen identifiziert werden. Ebenso wird im Laufe des Projekts die Akzeptanz von Hate Speech in den beiden Sprachräumen ermittelt und verglichen.


Das Projekt XPEROHS gliedert sich in vier verschiedene Teilprojekte. Das erste Teilprojekt hat das Ziel, herauszufinden, welche deutschen und dänischen Ausdrücke in Hate Speech verwendet werden. Es konzentriert sich auf die Erforschung des Gebrauchs und der Wahrnehmung von ethnischen Beleidigungswörtern, entmenschlichenden Metaphern und Metonymien. Ergänzt wird es durch zwei Vergleichsprojekte, die das Kernrepertoire von Bedeutungen und Mustern für Hassrede ermitteln und erforschen, ob und wie sich verschiedene HateSpeech-Niveaus festlegen lassen. Ein Projekt nimmt dabei die dänische und eines die deutsche Sprache in den Blick. Die Untersuchung beruht auf einer quantitativen Analyse des Korpus und kleineren Fallstudien zu verschiedenen Phänomenen wie beispielsweise Ironie.

Das vierte Teilprojekt untersucht die Beurteilung von Hate Speech in verschiedenen sozialen Gruppen. Es soll unter anderem ermittelt werden, wo die Sprecherinnen und Sprecher die Grenze zwischen akzeptabler Meinungsäußerung und Hate Speech ziehen und ob Hate Speech in gesprochener Sprache anders wahrgenommen wird als in geschriebener Sprache.

XPEROHS und der Nutzen für die Gesellschaft

Die Ziele der Projekte sind für unseren Alltag gleich in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Zum einen werden Ausmaß und Formen von Hate Speech in den sozialen Medien erfasst, wodurch die Aktualität und die Brisanz des Themas deutlich werden. Bislang fehlt es noch an einer umfassenden Bestandaufnahme von Hate Speech – das soll das breit angelegte XPEROHS-Korpus leisten. Außerdem können anhand der Daten typische Lexemverwendungen und sprachliche Muster von Hassrede in unterschiedlichen Sprachen erarbeitet werden. Diese Befunde könnten eine Grundlage bieten, um die Meldesysteme von Plattformen wie Twitter, Instagram sowie Facebook zu verbessern oder gar zu automatisieren.

Durch das XPEROHS-Korpus und die umfangreichen Analysen soll auf sprachwissenschaftlicher Grundlage die Definition von Hate Speech konkretisiert werden. Wo hört die freie Meinungsäußerung auf, wo fängt Hate Speech an? Inwiefern ist die Gesellschaft bereit, Formen verbaler Beleidigungen über Social Media zu tolerieren und wo endet diese Toleranz? Hieraus könnten auch Konsequenzen für die Strafbarkeit von Hate Speech abgeleitet werden.

Ein spannendes und – wie wir finden – sehr wichtiges angewandt-linguistisches Projekt! Wenn Sie mehr erfahren wollen, besuchen Sie die Projekthomepage des XPEROHS-Korpus oder folgen Sie dem Projekt auf Twitter:

Die Autorin und der Autor:

Agata Okula ist Erasmusstudentin der Angewandten Linguistik im zweiten Semester. Ursprünglich aus Polen interessiert sie sich für Fremdsprachen und ist verliebt in Würzburg und Deutschland generell!

Tom Rath studiert im sechsten Semester Gymnasiallehramt für die Fächer Deutsch, Geschichte und Politik und Gesellschaft. Er will das Thema Hate Speech aufgrund seiner Aktualität und des Alltagsbezugs für die Schülerinnen und Schüler auch im Schulalltag stärker thematisieren.

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Sind Sie schon aufgeklärt?

Angewandte Linguistik und das Tätigkeitsfeld Aufklären

Jetzt kommt die Sprachpolizei!

Seit 1991 kürt eine institutionell unabhängige, ehrenamtlich agierende Jury das sog. „Unwort des Jahres“ – davon haben Sie bestimmt alle schon einmal gehört oder sind unbewusst in Ihrem Alltag auf diese „Unwörter“ gestoßen. 2021 hat die Jury – die aktuell aus vier Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern sowie einer Journalistin besteht – das Wort Pushback zum „Unwort des Jahres“ ernannt. Auf Platz 2 landete der Begriff Sprachpolizei. Vorgeschlagen wurden diese und weitere Wörter von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, denen sie im alltäglichen öffentlichen Sprachgebrauch zuvor negativ aufgefallen waren. 

Pushback:

Der Ausdruck Pushback stammt aus dem Englischen und bedeutet ‚zurückdrängen, zurückschieben‘. Er kommt häufig in militärischen Kontexten vor, z. B.: Einen Gegner, einen Angriff zurückdrängen. Im Migrationsdiskurs wurde das Wort für die Praxis europäischer Grenztruppen verwendet, Flüchtende am Grenzübertritt gewaltsam zu hindern. Ganz unterschiedliche Politiker:innen, Journalist:innen und Organisationen verwendeten im Jahr 2021 dieses Wort in Debatten über Flucht und nahmen dabei – bewusst oder unbewusst – in Kauf, dass Flüchtlinge als Feinde gesehen werden können und überdies die mit den abweisenden Aktionen verbundenen gewaltsamen Handlungen sowie die Verletzung des Grundrechts auf Asyl unausgesprochen bleiben.

Sprachpolizei:

Mit dem Ausdruck „Sprachpolizei“ werden Personen in diffamierender Absicht bezeichnet, die sich u. a. für einen angemessenen, gerechteren und nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch einsetzen, der auch bisher benachteiligte und ausgegrenzte Gruppen sprachlich einschließt. Die Jury bewertet ihn als irreführend, weil er suggeriert, dass es eine exekutive Instanz gäbe, die sich anmaßt, über die Einhaltung von Sprachregeln zu wachen und bei Nichteinhaltung Bestrafungen vorsehe oder Bestrafungen durchsetze.

(https://www.unwortdesjahres.nhttps://www.unwortdesjahres.net/unwort/das-unwort-seit-1991/2020-2029/et/unwort/das-unwort-seit-1991/2020-2029/

Nichts formt unseren Alltag so wie unsere Sprache – das betrifft sowohl unser zwischenmenschliches Miteinander als auch unser Weltbild. Ziel der Aktion „Unwort des Jahres“ ist es, sprachkritisch auf diskriminierenden, stigmatisierenden, euphemisierenden, irreführenden oder menschenunwürdigen Sprachgebrauch aufmerksam zu machen. Deshalb sind Angewandte Linguistinnen und Linguisten in diesem Bereich natürlich keine negativ konnotierte Sprachpolizei, sondern sie sensibilisieren und klären zurecht über sprachbezogene Probleme in der Gesellschaft auf.

Sprache sorgt für Probleme?

Haben Sie in den letzten Jahren vielleicht sogar selbst Wörter und Formulierungen aus Ihrem Sprachgebrauch gestrichen? Sprachliches Aufklären ist genau dann gefragt, wenn Sprache in irgendeiner Form zu Schwierigkeiten und Problemen führt.

Einerseits kann das der Fall sein, wenn mit Sprache eine bewusst verschleiernde Wertung vorgenommen wird und so zum Beispiel Sachverhalte verharmlost werden. Auch auf das Wort Militärschlag machte die Jury 2021 aufmerksam, weil es euphemistisch verwendet wird: Von einem Schlag kann sich ein Boxer erholen – nach einem Bombenabwurf im Krieg bleibt an der Einschlagstelle kein Leben zurück.

Zum anderen kann Sprache im zwischenmenschlichen Kontext auch herabwürdigend sein. Spätestens dann, wenn Wörter und Redewendungen aktiv Menschen und Menschengruppen diskriminieren, besteht Handlungsbedarf! Dabei muss die Diskriminierung nicht einmal vorsätzlich geschehen, umso wichtiger ist es, für den eigenen Sprachgebrauch zu sensibilisieren. Ein Beispiel sprachlicher Herabwürdigung wäre sogenannte „Hassrede“, die unter anderem durch menschenverachtende Aussagen bezüglich Hautfarbe oder Sexualität definiert ist. Deren Lexemverwendung und syntaktische Struktur kann sprachwissenschaftlich untersucht werden, um über solche Sprachverwendung aufzuklären – mehr dazu erfahren Sie in unserem Blog der nächsten Woche!

Linguistinnen und Linguisten klären auf!

Die Linguistik ist die Forschungsdisziplin, die die Bedeutung, den Bedeutungswandel und auch die Wirkung von Wörtern mit wissenschaftlichen Methoden erfassen und beschreiben kann. Auf dieser Grundlage sind Linguistinnen und Linguisten besonders gut in der Lage, Probleme mit dem Sprachgebrauch zu erkennen, sie in die Öffentlichkeit zu tragen und gemeinsam mit der Gesellschaft Lösungen zu entwickeln. Damit gehört die öffentliche Kommunikation von Forschungsergebnissen und die Beteiligung an gesellschaftlichen Debatten zu den zentralen Tätigkeiten von Sprachwissenschaftlern und Sprachwissenschaftlerinnen.

Linguistisches Aufklären findet dabei nicht nur institutionsgebunden statt. Es entspringt immer auch einem persönlichen Verantwortungsgefühl und eigener Initiative. Einige Berufsfelder tragen jedoch eine besondere Verantwortung für ihre Sprachverwendung. Wer beispielsweise im sozialen, kulturellen oder medizinischen Bereich oder aber auch der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig ist, sollte besonders verantwortungsvoll mit Sprache umgehen (können). Diese Berufsgruppen können besonders von Aufklärungs- und Weiterbildungsangeboten der Angewandten Linguistik profitieren.

Sprachkritisches Aufklären heißt: Sprachbewusstsein schaffen!

Sprachliches Aufklären hat nichts mit Sprachpolizei spielen zu tun. Angewandte Linguistinnen und Linguisten haben kein Interesse daran, die Sprachproduktion zu überwachen und Sprecherinnen und Sprecher für vermeintlich „falschen“ Sprachgebrauch zu bestrafen.

Stattdessen ist es das Ziel der angewandt-linguistischen Forschung, durch Aufklärungsarbeit ein erhöhtes Sprachbewusstsein in der Öffentlichkeit zu erzielen. So kann für Problembereiche sensibilisiert und gesellschaftlicher Dialog zur Problemlösung angestoßen werden. Dabei ist neben der Angewandten Linguistik auch die Gesellschaft selbst verantwortlich, die Sensibilisierung anzunehmen und ggf. in den eigenen Sprachgebrauch zu integrieren.

Die Autorin:

Jule Beck studiert im vierten Bachelorsemester Germanistik. Neben der Literatur fasziniert sie auch die deutsche Sprache an sich. Als Bachelorstudentin hört sie oft die Frage, was sie mit einer linguistischen Ausbildung denn überhaupt anfangen könne. Sprachliches Aufklären ist eine von vielen guten Antworten auf diese Frage!

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Zwischen rosarot und schwarz-weiß

Ein Projekt aus dem Tätigkeitsfeld Diagnostizieren und Therapieren

Haben Sie schon einmal etwas durch die rosarote Brille gesehen? Täglich schwirren uns Wörter und Ausdrücke im Kopf herum, die uns unbewusst im Alltag auf der Zunge liegen und mit denen wir beim Artikulieren unserer Gefühle den Nagel auf den Kopf treffen. Denn durch sie können wir unsere Emotionen oft besser an den Mann beziehungsweise die Frau bringen und unsere inneren Zustände zielgerichteter und effizienter ausdrücken. Die Schlüssel dazu sind Metaphern und sprachliche Bilder. 

Um innere Zustände und mentale Empfindungen sprachlich zu äußern, werden sie mit verschiedensten Mitteln verbalisiert. Dies geschieht mit unterschiedlichen sprachlichen Mitteln und Verfahren, wie beispielsweise durch prosodische Mittel, grammatische Formen, lexikalische oder figurative Mittel, wie zum Beispiel Metaphern. Wie bereits gesagt, werden Metaphern häufig im Alltag verwendet. Allerdings sind sie zugleich die komplexeste Weise, um die eigenen Emotionen sprachlich zu transportieren und deshalb braucht es die Angewandte Linguistik, um dem Ganzen auf den Grund zu gehen.

Verarbeitung von bildlicher Sprache bei Patientinnen und Patienten mit Depressionen

Depressive Verstimmungen und Depressionen äußern sich auf vielfältige Weise, unter anderem durch eine Verringerung von Interesse, Motivation und Vergnügen. Da Sprache und emotionales Erleben stark miteinander verknüpft sind, kann die Hypothese aufgestellt werden, dass Menschen mit Depressionen bei der Verarbeitung von figurativer Sprache Schwierigkeiten bis hin zu Funktionsstörungen haben könnten. Dabei ist die Versprachlichung von Emotionen eine lebensweltliche Schlüsselkompetenz, bei der solche Funktionsstörungen den Alltag erheblich beeinträchtigen könnten. Daraus entsteht die Notwendigkeit für Angewandte Linguistinnen und Linguisten, diese Annahme wissenschaftlich zu erforschen beziehungsweise zu überprüfen, um aus den Ergebnissen innovative Impulse für diagnostische und therapeutische Verfahren zu gewinnen. Dieser Aufgabe widmet sich das Projekt “Durch die rosarote Brille gesehen: Die neuronale Verarbeitung sprachlicher Ausdrücke für innerpsychische Zustände mit figurativen und nicht-figurativen Mitteln”.

Am Projekt sind maßgeblich Prof. Dr. Christina Kauschke sowie Prof. Dr. Arne Nagles und Nadine Müller beteiligt, die interdisziplinär die Bereiche Logopädie, Linguistik und Psychologie vertreten. Es wurde, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz auf die Beine gestellt, startete im Dezember 2017 und wird, nach achtzehnmonatiger Verlängerung, voraussichtlich im September 2022 abgeschlossen sein. Als grundlegendes Korpus des Projekts dient die MIST-Datenbank (Metaphors for Internal State Terms). Diese stellt eine Sammlung kontrollierter Stimuli für experimentelle Metaphernforschung bereit. 

Zwei methodische Ansätze: Satzvervollständigung und Sprachproduktion

Im Zentrum des Projekts stehen Patientinnen und Patienten mit einer klinischen Depression sowie deren Nutzung und Verarbeitung von Metaphern und anderer bildlicher Sprache für Gefühle und mentale innere Zustände. Alle beteiligten Patientinnen und Patienten der Studie haben Depressionen nach den ICD-10 Kriterien und nehmen zudem Antidepressiva oder Stimmungsaufheller. Um Vergleiche ziehen zu können, gibt es eine Kontrollgruppe, bestehend aus Personen ohne diagnostizierte Depressionen. Außerdem sind alle Teilnehmenden Muttersprachlerinnen und -sprachler des Deutschen. Beim methodischen Aufbau des Forschungsprojektes werden zwei verschiedene Ansätze verfolgt. Bei der ersten Aufgabe müssen die Teilnehmenden Sätze vervollständigen. Die Sätze können nach vier alternativen Möglichkeiten ergänzt werden. Diese werden anhand des folgenden Beispiels exemplarisch dargestellt:

“Sie stieg in das fremde Auto. Das war …”

blauäugig → angemessene bildliche Vollendung des Satzes

naiv → angemessene wörtliche Vollendung des Satzes

wachsam → unabhängige Ablenkung

primitiv → in der Nähe der semantischen Ablenkung

Als Ergebnis dieser ersten Aufgabe muss festgehalten werden, dass sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen feststellen ließen. Beide bevorzugten wörtliche Ausdrücke (ca. 60%) gegenüber Metaphern (40%) bei der Ergänzung der Sätze. 

Im zweiten Experiment wird die Sprachproduktion der Teilnehmenden angeregt. Hierbei stellten sich eine neue Gruppe von Patientinnen und Patienten mit Depressionen nach ICD-10 Kriterien und eine Kontrollgruppe aus Teilnehmenden ohne Depressionen der Aufgabe, Sprache eigenständig zu produzieren. Um die Sprachproduktion auszulösen, wurde der thematische Apperzeptionstest (TAT) verwendet. Dieser wurde bereits 1936 entwickelt und wird noch immer als Persönlichkeitstest oder in der Motivationspsychologie genutzt. Die Anforderung des Tests besteht darin, mehrdeutige und emotional geladene schwarz-weiße Bilder sprachlich zu beschreiben.

Im Projekt mussten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer innerhalb von drei Minuten zu sieben von vierzehn Bildern, die willkürlich ausgewählt wurden, ihre eigenen Assoziationen äußern. Bei Bedarf griff der Interviewende unterstützend ein.  Das Experiment ergab, dass die Sprachproduktion bei der Gruppe von Patientinnen und Patienten geringer war. Die Verbalisierung innerer Zustände unterschied sich bei genauer Analyse der Ergebnisse allerdings nicht. Beide Gruppen zeigten einen ähnlichen Gebrauch von Metaphern. Auffällig war allerdings, dass bei der Gruppe der depressiven Teilnehmenden weniger positiv über innere Zustände gesprochen wurde.

Von den empirischen Ergebnissen zum praktischen Nutzen

Obwohl sich die eingangs formulierte Annahme nicht vollumfänglich bestätigt hat, liegt der Zugewinn des Projekts vor allem in der Erforschung von Sprache, Versprachlichungsstrategien und emotionalem Erleben. Durch das Projekt sollen Kenntnisse über die Nutzung und Repräsentation figurativer Sprache im Gehirn erzielt werden. Zudem soll Wissen über neurobiologische Grundlagen der Sprachverarbeitung und der inneren Emotionszustände gesammelt werden. Zum einen können durch die Ergebnisse des Projekts perspektivisch neue Ansätze in der Therapie geschaffen werden, zum anderen können sie klinisch für eine zielgruppengerechte Aufklärungsarbeit sowie für den gezielten Einsatz von Metaphern in Therapien genutzt werden. So sind Angewandte Linguistinnen und Linguisten daran beteiligt, Forschungsergebnisse zu generieren und auf dieser Basis innovative Therapiekonzepte zu entwickeln.

Neugierig geworden? Mehr Informationen gibt es auf der Projekt-Homepage zu „Durch die rosarote Brille gesehen“!

Die Autorinnen:

Yvonne Luksch studiert Gymnasiallehramt mit den Fächern Deutsch, Geschichte und Sozialkunde und möchte durch die Vermittlung von Sprache das Interesse der Schülerinnen und Schüler an der deutschen Literatur und Kultur wecken.

Friederike Schmidtmann studiert Gymnasiallehramt mit den Fächern Deutsch, Geschichte und Sozialkunde mit dem Ziel, Schülerinnen und Schülern Deutsch so alltagsnah wie möglich zu vermitteln.

Franziska Schulte studiert Gymnasiallehramt mit den Fächern Deutsch und Geschichte und arbeitet gleichzeitig als Hilfskraft am Lehrstuhl für Sprachwissenschaft. Sie hatte so viel Freude beim letzten Blogprojekt, dass sie auch bei dieser nächsten Runde dabei sein wollte!

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