Ein Projekt aus dem Tätigkeitsfeld Beraten
Stellen Sie sich vor, Sie kommen in ein fremdes Land und niemand versteht Sie. Sie müssen dennoch Behördengänge erledigen oder Diagnosegespräche mit Ärztinnen und Ärzten führen. Das ist Alltag für viele Menschen mit Migrationshintergrund, die Unterstützung für diese Tätigkeiten brauchen. Solche Unterstützung kommt unter anderem durch Dolmetscherinnen und Dolmetscher, die als Übersetzerinnen und Übersetzer in Gesprächen fungieren.
Dabei kommt es häufig vor, dass nicht genug Dolmetschende für eine bestimmte Sprache, beispielsweise Arabisch, vor Ort sein können. Zum Glück wird die Technik jedoch immer fortschrittlicher und vielseitiger und das hat auch Einfluss die Formen des Dolmetschens. Neben Video-Gesprächen ist seit vielen Jahren auch das Telefon ein beliebtes Mittel, um über weite Entfernungen das Dolmetschen zu ermöglichen.
Das hat es mit Telefondolmetschen auf sich
Wie der Name bereits sagt, ist beim Telefondolmetschen die Dolmetscherin oder der Dolmetscher nicht persönlich vor Ort, um die Klientin oder den Klienten zu unterstützen, sondern als dritte Partei per Telefon zugeschaltet. Dieses Konzept ist keinesfalls neu und wird bereits seit den 70ern, zunächst in Australien, praktiziert. In den darauffolgenden Jahrzehnten kam das Telefondolmetschen über die USA, wo es zunächst nur für die Polizei angeboten wurde, auch nach Europa.
Beim Telefondolmetschen kann man in drei verschiedene Situationen unterteilen:
1. Beide Gesprächsparteien und die Dolmetscherin oder der Dolmetscher befinden sich an unterschiedlichen Orten.
2. Die beiden Gesprächsparteien befinden sich an einem Ort und unterhalten sich über den Lautsprecher des Telefons, sodass die Dolmetscherin oder der Dolmetscher mithören kann.
3. Die Situation ist ähnlich wie bei der zweiten Form, nur dass das Gespräch nicht über einen Lautsprecher stattfindet, sondern das Telefon zwischen den Gesprächsteilnehmenden hin und her gereicht wird.
Telefondolmetschen und seine Tücken
So gut und praktisch das Konzept Telefondolmetschen klingt, vor allem für Regionen, in denen Dolmetscherinnen und Dolmetscher fehlen, es birgt auch einige Probleme. Zum einen wären da natürlich die technischen Schwierigkeiten, die bei einer Telefonverbindung auftreten können. Kommt es zu kurzen Unterbrechungen, kann das Verständnis der einzelnen Parteien nicht mehr gesichert werden.
Ein weiteres Problem ist das Fehlen nonverbaler Kommunikationsmittel. In einem face-to-face-Gespräch spielen für die Verständnissicherung auch Gestik und Mimik eine Rolle, in einem Telefongespräch entfällt das komplett. Das ist vor allem ein Hindernis für das „Turn-Taking“, also den Wechsel der Sprecherin oder des Sprechers, der durch Mimik und Gestik gut unterstützt werden kann. Die Dolmetschenden müssen dann auf paraverbale Signale achten, zum Beispiel auf den Tonfall, das Tempo oder den Akzent. Sonst bleibt nur die Möglichkeit, das Gespräch direkt verbal zu unterbrechen und eventuell den weiteren Verlauf des Gesprächs zu stören. Das kann zu einem Gefühl des Unbehagens oder Kontrollverlustes führen und die Gesprächssituation negativ beeinflussen.
Ein weiterer Nachteil des Telefondolmetschens ist die Zeitdauer. Ein solches Gespräch ist aufgrund von Konzentration und Ermüdung nicht für eine längere Zeit ausgelegt und somit ist es problematisch, komplexe Sachverhalte ausreichend darzustellen und zu besprechen.
Da die Lösung durch Telefondolmetschen jedoch auch viele, vor allem logistische, Schwierigkeiten vermeidet, sollten diese Probleme angepackt werden! Und das hat sich ein internationales Forschungsteam beim Projekt „Turn-Taking und Verständnissicherung beim Telefondolmetschen Arabisch-Deutsch“ auf die Fahne geschrieben. Denn ein erfolgreiches Telefondolmetschen hängt von den Kompetenzen der Dolmetschenden und den kommunikativen Fähigkeiten der Fachkräfte ab, wobei hier die Angewandte Linguistik unterstützen kann.
Telefondolmetschen für bessere Migration
Gerade in der Kommunikation mit Migrantinnen und Migranten sowie Geflüchteten ist Telefondolmetschen besonders relevant. Der breite Bedarf in Unterkünften sowie Betreuungs- bzw. Beratungskontexten kann durch Dolmetscherinnen und Dolmetscher vor Ort nicht gedeckt werden. So bietet das Telefondolmetschen die Möglichkeit, mehr Menschen ortsunabhängig in ihrem Alltag zu unterstützen.
Das internationale Projekt mit Beteiligten in Deutschland, den Vereinigten Staaten und Jordanien untersucht deshalb sowohl Verfahren des Sprecherwechsels, also „Turn-Taking“, und die Verständnissicherung innerhalb von Beratungsgesprächen in sozialen Handlungskontexten per Telefon als auch die Methodik mehrsprachiger Transkription und Annotation für die Gesprächsanalyse. Es soll geklärt werden, wie kommunikative Probleme durch das Fehlen nonverbaler Mittel vermieden werden können und welche sprachlich-kommunikativen Anforderungen an das Dolmetschen von Gesprächen zu stellen sind.
Hierfür werden innerhalb des Projekts computergestützte Gesprächstranskripte angefertigt, die die Schwierigkeiten der mehrsprachigen und interkulturellen Kommunikation herausstellen sollen. Auf dieser Grundlage sollen kommunikative Verfahren modelliert werden, die die Gespräche verständlicher gestalten und gliedern können. Ein besonderes Augenmerk liegt hier auf der institutionellen Kommunikation. In wissenschaftlichen Workshops wollen die beteiligten Forscherinnen und Forscher Fragen der Gesprächsinteraktion und der Darstellung in der Transkription klären, und in Verbindung mit Berufsverbänden des Dolmetschwesens sollen mögliche Hilfestellungen für die Praxis erörtert werden.
Mehr Infos gibt es auch auf der Projekt-Homepage!
Insgesamt werden auf diese Weise also Methoden erforscht und Muster festgehalten, die das spannende Feld des Dolmetschens per Telefon verbessern, die Dolmetscherinnen und Dolmetscher professionalisieren und – natürlich – den Alltag für geflüchtete Personen sowie Migrantinnen und Migranten erleichtern!
Die Autorinnen:
Yijia Chen studiert Germanistik als Fremdsprachenphilologie und denkt, dass man mithilfe fremdsprachlicher Kenntnisse eine fremde Kultur gut und tief verstehen kann.
Yuanying Jin studiert Germanistik als Fremdsprachenphilologie und interessiert sich für alle Formen interkultureller Kommunikation.