Führerschein? Fahrzeugpapiere? Deutsch?

Ein Projekt aus dem Tätigkeitsfeld Aufklären

Transformation und Translation – Das Projekt

Stellen Sie sich vor, sie brauchen Hilfe, aber niemand kann sie verstehen. Was wie ein Horrorszenario wirkt, gehört für viele Menschen in Deutschland zum Alltag. Sie fühlen sich ausgegrenzt, weil sie „anders“ sprechen, vielleicht auch „anders“ aussehen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Bundesrepublik zu einer zunehmend heterogenen Gesellschaft entwickelt. Und das prägt natürlich auch die Sprache(n) in Deutschland!

Sprachbarrieren und die damit einhergehende Notwendigkeit für Translationen gehören heute zum Alltag – sie sind aber auch eine tägliche Herausforderung. Zum Beispiel für die Polizei!

Jan Beek und sein interdisziplinäres Team, zu dem auch ein Polizist gehört, von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz beschäftigen sich in ihrem Projekt ‚Polizei-Translationen – Mehrsprachigkeit und die Konstruktion kultureller Differenz im polizeilichen Alltag‘ deshalb genau mit diesen Herausforderungen. Wann nehmen die Beamtinnen und Beamten einen Menschen als kulturell „fremd“ wahr? Wie beeinflusst diese Wahrnehmung den Umgang mit diesem Menschen? Und, aus linguistischer Perspektive zentral: Wie sieht die Kommunikation zwischen den Parteien aus?

Am Projekt ist auch Prof. Dr. Bernd Meyer von der Universität Mainz beteiligt. Der Angewandten Linguistik ist er als Leiter der Sektion Interkulturelle Kommunikation und mehrsprachige Diskurse der Gesellschaft für Angewandte Linguistik e.V. sehr zugetan. Mit uns hat er über seine Beteiligung am Projekt Polizei-Translationen gesprochen.

Das Krisenexperiment

„Das Projekt Polizei-Translationen ist am Institut für Ethnologie angesiedelt und überwiegend sozialwissenschaftlich orientiert“, berichtet er. Ursprünglich sei eine linguistische Beteiligung in Form von Gesprächsanalysen der via Body-Cam aufgezeichneten Gespräche geplant gewesen. Aus rechtlichen Gründen war das leider nicht möglich. Die Mainzer mussten umplanen: 

„Daraufhin wurden von uns Aufzeichnungen von Ausbildungsszenarien angefertigt, in denen Polizisten das Verhalten in Standard-Einsätzen üben (Verkehrskontrolle, Ruhestörung). In diese Szenarien haben wir Klienten ohne Deutschkenntnisse eingebaut, das war neu für die Polizisten. Normalerweise üben sie vor allem die Eigensicherung. Nun ging es auf einmal nicht um Gewalt, sondern um Kommunikation. In der Sozialwissenschaft nennt man das auch ein Krisenexperiment: Die Teilnehmer werden mit unerwarteten Problemen konfrontiert, die sie mit herkömmlichen Mitteln nicht lösen können. Die Frage war: Was machen sie, wenn der Fahrer kein Deutsch spricht, man aber trotzdem seinen Führerschein sehen muss?

Die Interaktionen zeichneten sie mit Kameras auf. Anhand der Aufnahmen wurden Beobachtungen festgehalten und Ablaufbeschreibungen erstellt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden zusätzlich nachträglich befragt. So konnten typische Ablaufmuster festgehalten werden.

„Diese Typen wurden als inklusive und exkludierende Mehrsprachigkeit bezeichnet. Inklusiv: Man versucht trotz Sprachbarriere zu kommunizieren. Exklusiv: Man macht weiter und schert sich nicht um die Kommunikation. Die Klienten bleiben dann außen vor, werden z. B. körperlich durchsucht, ohne zu wissen, warum. Ganz schlecht!“

Zum Glück ist dieser Fall nur selten eingetreten: Nur 3 von 33 Teams wurden von Bernd Meyer als exkludierend eingestuft.

„Das Bemühen um Verständigung“ soll im Vordergrund stehen

Die Reaktion der meisten angehenden Beamtinnen und Beamten zeigte also, dass der Wille zur Kommunikation trotz Sprachbarriere durchaus existent ist. Doch guter Wille allein reicht nicht aus, um den polizeilichen Umgang mit Klientinnen und Klienten ohne Deutschkenntnisse nachhaltig zu verbessern. Dafür braucht es konkrete, systemische Lösungsansätze, die mitunter von der Angewandten Linguistik unterstützt werden können.

Prof. Dr. Meyer zählt dabei einige Ideen auf, beginnend mit einem Besuch bei Google Translate. Eine weitere Möglichkeit wäre außerdem, die einsatzbezogenen Sprachkompetenzen zu fördern, „also den Sprachunterricht berufsbezogen organisieren, Sprachunterricht an kommunikativen Kompetenzen ausrichten, mehrsprachige Kollegen einbeziehen usw.“ Damit sollen sowohl neue Kompetenzen aufgebaut als auch bereits bestehende Kompetenzen ausgebaut werden. Die Quintessenz dieser Bemühungen besteht aber vor allem darin, „das Bemühen um Verständigung“ zum höchsten kommunikativen Gut zu machen.

Eine bessere Polizei?

Das Ziel des Projekts ist es, die Polizistinnen und Polizisten für mögliche sprachliche Probleme in Einsätzen zu sensibilisieren, sie aber auch über Lösungsansätze zu informieren. Dazu reicht es nicht, im Nachhinein Fehleranalysen zu betreiben oder sprachliche Missverständnisse zu bedauern. Nein, es sollten auf der Basis wissenschaftlicher Forschung konstruktive Lösungen für alltägliche Probleme entwickelt werden, die in der Realität der transformierten Gesellschaft umsetzbar sind. Denn wer Hilfe braucht, sollte auch verstanden werden – und Angewandte Linguistinnen und Linguisten können helfen, diese Verständigung zu ermöglichen.

Die Autorin und der Autor:

Nina Busch studiert im sechsten Bachelorsemester Germanistik und Political and Social Studies und sieht ein großes Potential in der interdisziplinären Zusammenarbeit der Sozialwissenschaften und der Sprachwissenschaft.

Tim Neumann studiert im achten Fachsemester Deutsch und Englisch auf Gymnasiallehramt. Den größten Spaß im Studium hat er mit mittelhochdeutschen Texten, im Beruf ist er aber dazu bereit, seine Schülerinnen und Schüler damit zu verschonen.

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